Kirche kann auch Schule!

Schulen in kirchlicher Trägerschaft sind im weitgehend konfessionslosen Ostdeutschland gefragt. Die Gründe haben mit Religion oft nicht viel zu tun. Ein Besuch an der Evangelischen Sekundarschule in Magdeburg.


Schulen in privater Trägerschaft sind in Ostdeutschland verbreiteter als im Westen. An der Spitze liegen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, wo 12,3 bzw. 11,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine allgemeinbildende Privatschule besuchten (bundesweiter Anteil 9,1 Prozent). Dabei fallen die vielen evangelischen und katholischen Bildungseinrichtungen auf – in einer Region, in der nur eine schrumpfende Minderheit mit Kirche und Religion etwas zu tun hat. Woran liegt das?

An der Evangelische Sekundarschule Magdeburg werden knapp 300 Mädchen und Jungen von der 5. bis zur 10. Klasse unterrichtet. Religion ist hier Pflichtfach. Einmal die Woche beginnt der Tag für alle Schülerinnen und Schüler mit einer gemeinsamen Andacht, die oft von einer Klasse vorbereitet wird und nach etwa 15 Minuten mit dem Vaterunser endet. „Während der Andacht haben wir den Mitschülern von unserer Klassenfahrt erzählt. Das finde ich gut, dass wir den anderen berichten können, was uns wichtig ist und wir auch von den anderen Klassen etwas erfahren“, sagt Emily aus der 8. Klasse.

Schule zum Anfassen: Holz, Metall und Pizza

Kurz vor den Sommerferien hat sie gerade zwei Stunden Hauswirtschaft – in der Schulküche bereiten rund ein Dutzend Jugendlicher unter Anleitung ihrer Lehrerin Juliane Franke verschiedene Pizzen zu. Mädchen wie Jungen arbeiten gleichermaßen engagiert wie selbstständig mit, ihre Lehrerin gibt Tipps und wird ab und zu gefragt, wenn es zum Beispiel um das Vorheizen des Herdes geht. Zur selben Zeit hat die andere Hälfte der Klasse Technikunterricht. Immer im Wechsel werden die Schülerinnen und Schüler in diesen beiden Fächern jeweils ein halbes Jahr unterrichtet, und zwar während ihrer gesamten Schulzeit. Saucen zubereiten, Besteck richtig platzieren, beim Salzen vorsichtig sein – Quentin zählt auf, was er zuletzt bei Frau Franke gelernt hat. „Technik als Fach macht mir etwas mehr Spaß, da arbeiten wir viel mit Holz und Metall“, erzählt er, während die anderen Jungen aus seiner Gruppe Hauswirtschaft bevorzugen. Er fühlt sich wohl in der evangelischen Schule und betont zugleich: „Wenn wir in einer Kirche sind, fühle ich mich fremd.“ Die meisten Schülerinnen und Schüler der Evangelischen Sekundarschule Magdeburg sind konfessionslos.

Quentins Klassenkameradin Eva fällt in dieser Umgebung auf – sie trägt eine Kette mit einem Kreuz. „Für mich ist der Glauben wichtig, aber ich habe kein Problem mit anderen, die nicht gläubig sind. Bei unserer Schule ist mir wichtig, dass sie klein und überschaubar ist und die Lehrer hier darauf achten, wie es dem einzelnen geht“, sagt sie.

Ausstattung und pädagogische Konzepte

Zur Schule gehört auch eine große Freifläche. Die eine Hälfte unterscheidet sich nicht groß von anderen Pausenhöfen, hier gibt es unter anderem viel Grün, Sitzgelegenheiten und Sportmöglichkeiten. Der hintere Teil ist dagegen eine weitläufige Brachfläche, auf der in einem eingezäunten Bereich Hühner herumlaufen. Daneben stehen verschiedene Buden, die vor allem in der einstündigen Mittagspause als Rückzugsort für kleine Gruppen dienen. „Wir treffen uns hier immer in den Pausen. Es ist toll, dass man hier bauen und spielen kann und so auch neue Freunde aus anderen Klassen kennenlernt“, erzählt Glenn aus der 5. Klasse.

Michael Deike ist pädagogischer Mitarbeiter und steht als Ansprechpartner auf dem Freigelände bereit. Mal kommt ein Junge vorbei, der eine Säge zum Budenbauen braucht, mal fachsimpelt er mit einem Mädchen über die Hühnerhaltung und das Futter. „Im Winter biete ich einmal die Woche in der Pause eine Runde am brennenden Feuerkorb an, da kommen viele und erzählen, was sie beschäftigt“, berichtet Deike.

Kleine und überschaubare Lerngruppen 

Gemeinschaft – darauf legt auch Schulleiterin Simone Graßmann viel Wert im Schulalltag. Dabei setzt sie unter anderem auf ein bis zwei Fahrten in jeder Klassenstufe, die dem besseren Kennenlernen und einem engeren Zusammenhalt dienen sollen. Dazu gehören mehrtägige Planwagencamps, Rucksackwanderungen, Kanu- und Radtouren, bei denen wenig Gepäck mitgenommen wird und man gegenseitig aufeinander angewiesen ist. Aus vielen Gesprächen weiß sie, dass für die Eltern bei der Schulwahl die familiäre Atmosphäre eine große Rolle spielt. „Viele wollen nicht den Druck eines Gymnasiums oder haben Angst vor einer großen Integrierten Gesamtschule“, sagt sie und fügt hinzu: „Viele Eltern wünschen sich eine christliche Schule, andere sind überzeugt: Kirche kann Schule.“ Stabile Beziehungen sollen auch durch die Gestaltung des Stundenplans gefördert werden. So werden die ersten beiden Schulstunden drei Wochen lang jeweils von derselben Lehrkraft in einem Fach unterrichtet.

Starke Berufsorientierung

Für viele voll berufstätige Eltern dürfte ein anderer Punkt mindestens ebenso wichtig sein: Die Evangelische Sekundarschule Magdeburg ist eine Ganztagsschule mit angeschlossenem Hort. Der Unterricht läuft an drei Tagen bis 16 Uhr und an zwei Tagen bis 15.15 Uhr. Im Hort werden Kinder und Jugendliche bereits ab 7 Uhr morgens und bis 17 Uhr nachmittags betreut, auch in den Ferien. Berufliche Fragen haben für die Schulwahl auch noch aus anderer Sicht eine Bedeutung. Zur Berufsorientierung sind unter anderem in der 8. und 9. Klasse mehrwöchige Praktika in den Bereichen Handwerk und Soziales Pflicht. „Das sind wertvolle Erfahrungen mitten in der Pubertät. Nach der 10. Klasse müssen ja alle ihren Weg finden“, sagt Graßmann. Zwischen einem Drittel und der Hälfte liegt der Anteil der Abgänger, der nach ihren Worten an weiterführenden Schulen das Abitur machen will.

Das Schulgeld beträgt 170 Euro im Monat, Ermäßigungen sind möglich. Die Zahl der Bewerber übersteigt die Zahl der Plätze. Graßmann betont, dass man auf eine heterogene Schülerschaft achte: „Wir nehmen bewusst Kinder auf, die einen besonderen Förderbedarf haben.“ Dass kirchliche Schulen in Ost wie West so gut nachgefragt werden, ist aus Sicht von Inga Piel, Gruppenleiterin Religion beim Ernst Klett Verlag, nachvollziehbar: „Oft sind Privatschulen und zum Teil auch staatliche Schulen in kirchlicher Trägerschaft besser ausgestattet als staatliche Schulen und bieten ein durchdachtes pädagogisches Konzept an, das es nicht unbedingt an jeder Schule gibt. Das und die bewusste Auswahl der Schülerinnen und Schüler hilft, ein insgesamt gutes Schulklima herzustellen.“

Eine Schule, die nicht frei von Widersprüchen ist. In der Mensa findet sich auf dem Fenster ein eingraviertes Zitat von Franz Kafka: „Dieses frühzeitige Aufstehen macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muss seinen Schlaf haben.“ Der Unterricht beginnt an der Evangelischen Sekundarschule Magdeburg dennoch um 8 Uhr.

Ein weiterer Widerspruch scheint auf den ersten Blick die Segensfeier für Konfessionslose, die in der 8. Klasse angeboten wird, als Alternative zur Jugendweihe. Die Feier findet in einer Kirche statt, an der sich die Jugendlichen mit Wort- und Musikbeiträgen sowie bei der Gestaltung der Dekoration beteiligen und auf der es um Fragen wie „Wo komme ich her, wo gehe ich hin?“ geht. Etwa die Hälfte eines Jahrgangs nimmt daran teil.

Text: Joachim Göres

Mit freundlicher Genehmigung des Ernst-Klett-Verlags:
https://ernst-klett-verlag.de/themendienst/kirche-kann-auch-schule/22.09.2024